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01. 02. 2007
Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Als die Pianistin Anika Vavic von der Gesellschaft der Musikfreunde den schönen Auftrag erhielt, ein Programm für den Kammermusikzyklus im Brahms-Saal zusammenzustellen, schwebte ihr eine eher ungewöhnliche Besetzung vor, und der Wunsch nach besonderen Klangfarben, Stimmungen und Gefühlen lenkte die Planung. Entstanden ist ein kammermusikalischer Reigen mit Klarinette, Klavier, Violine und Violoncello, durchzogen von Liebe und Leidenschaft, Freude und Melancholie, Wasser und Farben.
Auf eine bekannte Frage kann Anika Vavic eine eindeutige Antwort geben: „Ja, ich liebe Brahms." Seine vier letzten Klavier-Opera 116 bis 119 sind „für mich die tollsten Klavierstücke". In den Intermezzi, Capriccios, Balladen, Romanzen und Rhapsodien findet sich die aus Belgrad stammende und seit vielen Jahren in Wien lebende Künstlerin wieder. In Johannes Brahms' Schaffenskatalog werden die Klavierstücke von seinen letzten Kammermusikwerken eingerahmt, die alle vom Spiel des Meininger Klarinettisten Richard Mühlfeld angeregt wurden: das Klarinettentrio op. 114, das Klarinettenquintett op. 115 und die beiden Sonaten für Klarinette und Klavier op. 120. „Der beste Bläser überhaupt, den ich kenne", schwärmte Brahms in einem Brief an Clara Schumann über Mühlfeld, der den Komponisten, der eigentlich sein Schaffen schon abgeschlossen meinte, so sehr inspirierte, daß er noch einmal und ausgiebig zur musikalischen Feder griff.
Freude an der Melancholie
Eine
der kammermusikalischen Stimmungsvarianten der späten Klavierstücke,
das Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier a-moll op. 114, wählte
Vavic als Schlußstück des Programms aus. Daß die Melancholie, die
besonders stark aus den letzten Klavierwerken und der
Klarinetten-Kammermusik spricht, bei Brahms nichts mit Pessimismus oder
gar Depressivität zu tun hat, sondern sich in die Stimmung des
Erinnerns und Zurückblickens eines reifen Künstlers mischt, spürt
Vavic, wenn sie meint, daß man auch „Freude an der Melancholie"
entwickeln kann und sie auskosten soll.
Die nicht selten dunkel getönte Klangfarbe des Trios, in dem Brahms die Klarinette in zum Teil extrem tiefe Lagen führt, ergibt für Vavic die besondere „Wärme und Ausdruckstiefe" des Werkes. Über den außergewöhnlichen Mischklang des Trios sagte der Brahms-Freund Eusebius Mandyczewski, Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde: „Es ist, als liebten sich die Instrumente." Diese Vorstellung lenkte die junge Pianistin, die neben ihrer eindrucksvollen Solistenkarriere eine so begeisterte und gefragte Kammermusikerin ist, für die Auswahl der weiteren Programmpunkte, die auf das Klarinettentrio hinführen sollten.
Glückliche Konstellationen
Es
kristallisierte sich die Besetzung von Olivier Messiaens „Quartett für
das Ende der Zeit" heraus, ohne daß dieses Werk gespielt wird. So wie
in Messiaens Werk werden in diesem Kammerkonzert die Instrumente in
verschiedenen Konstellationen zu hören sein: Violine und Klavier in
Brahms' letzter Geigensonate d-Moll op. 108; Violine und Violoncello in
Ervín Schulhoffs Duo; Klarinette, Violine und Klavier in Béla Bartóks
„Kontrasten"; Klarinette, Cello und Klavier in Beethovens
„Gassenhauer-Trio" und im Brahms-Trio.
„Alle vier beteiligten
Musiker begegnen einander zumindest einmal auf dem Podium." So bleibt
die konzertante Kommunikation gewahrt, ganz abgesehen davon, daß Anika
Vavic drei Wunschmusiker als Partner für ihr Projekt gefunden hat. „Als
ich Gautier Capuçon Dvo®áks Cellokonzert spielen hörte, wußte ich:
Diese Tiefe und Wärme braucht man für das Brahms-Trio", so Vavic über
die Einladung an den französischen Ausnahmemusiker, in diesem
Kammerkonzert mitzuwirken.
Der nächste, der dazu stieß, war der renommierte britische Geiger Daniel Hope, gerühmt für seinen Forschergeist in stilistischen und aufführungspraktischen Fragen. Und die Klarinette? Mit dem Wiener Philharmoniker Ernst Ottensamer wurde letztendlich der optimale Partner gefunden, bei dem sich hohe Virtuosität mit der idealen Musiziertradition verbindet.
Gassenhauer und Czárdásklänge
„Wir
spielen die Hits", verwendet Anika Vavic keck einen
Popmusik-Radioslogan für ihr Programm. Und sie hat recht damit.
„Populär" im Sinne des Wortes sind einige der Melodien und Themen, die
erklingen werden. Zuvorderst natürlich der einstige Wiener
„Gassenhauer" aus Joseph Weigls Oper „L'amor marinaro", den Beethoven
zum Thema des Finales seines Trios B-Dur op. 11 machte und mit
phantastischen Variationen adelte. Diesem städtischen Schlager aus dem
Wien des späten 18. Jahrhunderts stehen dörfliche Volksmusikweisen aus
Ungarn gegenüber, die in Béla Bartóks „Kontraste" einflossen.
Er komponierte zunächst für die ausgefallene Besetzung zwei Tänze im Auftrag seines Landsmannes, des ungarischen Geigers Jószef Szigeti, der den amerikanischen Jazzklarinettisten Benny Goodman dafür begeistern konnte, mit ihm Kammermusik von Bartók aufzuführen und auf Schallplatte festzuhalten. „Man kommt sich vor, als ob man einen Czárdás spielt", sagt Vavic über den ersten Satz, einen Verbunkos, der einst in Ungarn bei der Anwerbung von Soldaten gespielt wurde.
Bartók hat den Blues
Der
andere Tanz ist wesentlich schneller und heißt Sebes, in den Bartók -
offenbar inspiriert von Goodman - rhythmisch auch einiges an
Jazzelementen einwirken ließ. Der später von Bartók zwischen die Tänze
geschobene langsame Satz Pihenö „hat den Blues", wie Vavic feststellen
konnte, als sie die „Kontraste" erstmals gleich in der
„Originalaufnahme" mit Bartók am Klavier, Goodman und Szigeti hörte.
Aber
auch der dritte Satz „Zingaresca" aus dem Duo für Violine und
Violoncello von dem Prager Komponisten Ervín Schulhoff ist durchaus
hitverdächtig. Zudem verstärkt er die „ungarische" Linie in dem
Programm, die in Bartóks „Kontrasten" verankert ist und zum Finale vom
Brahms' Trio führt, der auch hier seine Leidenschaft für den
magyarischen Tonfall nicht unterdrücken konnte. Bleibt die letzte
Violinsonate op. 108 von Brahms, in einem „Liedersommer" am Thuner See
begonnen und von vertrauten Weisen durchzogen.
Feuerschein und Wasserfarben
Auf
der Klangfarben-Skala des Programms hat die gegenüber dem Trio
leidenschaftlichere und dramatischere Sonate für Vavic viel mit
„Feuerschein" zu tun und mit Farben, die sich darin knisternd
verbinden. Hingegen stellt das Trio für Vavic die sanfte Vereinigung
verschiedener instrumentaler Farbtöne dar, vergleichbar den Bildern des
Malers Mark Rothko, „in denen es eine Fülle von Farbschichten im
Untergrund gibt, damit die Farben im Vordergrund leuchten können".
Beethovens Trio ist bunt, mit drei verschiedenen, kräftigen
Instrumentalfarben. Bartóks „Kontraste" sind von Blautönen und auch
feurigen Farben erfüllt.
Geht Anika Vavic von der Farbkurve des Programms zur Stimmungskurve über, so landet sie im Wasser. Beethovens diesseitiges Trio sei für sie ein unterhaltsames „Plantschen", bei Bartók beginne das „Schnorcheln", um auch in den Wasser-Untergrund zu sehen. Bei Brahms aber „wird man mit Blei hinuntergezogen in die Tiefen", so Vavic, dorthin, „wo die Korallen sind". Und die haben bekanntlich die am unwahrscheinlichsten schillernden Farben.
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